Newsletter TRANSFERkompakt März 2021
Interview: Digitale Lernallianzen für Berufsorientierung und Fachkräftesicherung.
Fachkräftesicherung gewinnt für die Betriebe einer Region und damit für die Attraktivität eines Standortes zunehmend an Bedeutung. Auch im Leben der Schülerinnen und Schüler ist der Prozess der Berufs- und Studienorientierung ein wichtiger Teil. Ihnen fehlt es häufig an Klarheit darüber, was sie nach der Schule machen möchten bzw. können (vgl. Calmbach, Marc und Schleer, Christoph (2020): Berufsorientierung und „Future Readiness“ Jugendlicher). Dem möchte der Landkreis Nienburg/Weser mit der Beteiligung am Projekt „Digitale Lernallianzen“ begegnen. Welche Vorteile sich daraus für die Schülerinnen und Schüler, die Betriebe, aber auch für den Landkreis ergeben, erläutert die Bildungskoordinatorin und Leiterin des Bildungsbüros, Claudia Eckhardt.
Frau Eckhardt, wie sind Sie auf das Projekt „Digitale Lernallianzen“ aufmerksam geworden und was mussten Sie tun, um das Projekt in den Landkreis Nienburg/Weser zu holen?
Die WIN (Wirtschaftsförderung im Landkreis Nienburg) wurde von der Handwerkskammer Hannover Projekt- und Servicegesellschaft mbH (PSG) auf das Projekt „Digitale Lernallianzen“ angesprochen und vermittelte den Kontakt zum Bildungsbüro. Ende 2019 fand ein erstes Treffen zwischen der PSG, der WIN und dem Bildungsbüro statt. Nach Rücksprache mit dem damaligen Dezernenten wurde die PSG dann im März 2020 für eine Projekt-Vorstellung zur „Lenkungsgruppe Bildungskoordination“ eingeladen, ebenso drei Schulen. Für die Vorstellung des Pilotprojektes wurden vom damaligen Dezernenten und mir drei weiterführende Schulen ausgewählt: Ein städtisches Gymnasium, welches beim Landkreis bereits Interesse an beruflichen Orientierungsmaßnahmen in der Oberstufe signalisiert hatte, die BBS und ein Gymnasium, welches schon seit Jahren Notebooks ab der 7. Klasse standardmäßig einsetzt. Die BBS konnte aufgrund der Förderrichtlinien später leider nicht berücksichtigt werden. Die Lenkungsgruppe Bildungskoordination unter dem Vorsitz der (seit November 2020 neuen) Dezernentin besteht aus den Geschäftsführern der Agentur für Arbeit, des Jobcenters, der WIN, der VHS-Leitung, einer Dezernentin des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung, dem Bildungsmonitorer und der Bildungskoordinatorin. Da die Agentur für Arbeit 50 Prozent der Kosten übernehmen sollte und die WIN ebenfalls schon involviert war, war die Lenkungsgruppe das passende Gremium zur Vorstellung dieses Projektes.
In der Region Hannover läuft das Projekt bereits seit 2019 als Modellversuch und soll die Unternehmen mit den Schülerinnen und Schülern zum Thema Digitalisierung zusammenbringen. Wie wird das Projekt finanziert und welches Ziel wird verfolgt?
50 Prozent wird über die Agentur für Arbeit finanziert, die Kofinanzierung erfolgt durch das Fachkräftebündnis Leine-Weser (angesiedelt beim REK Weserbergland plus, ein Zusammenschluss der Landkreise Hameln-Pyrmont, Holzminden, Schaumburg und Nienburg). Die „Digitalen Lernallianzen“ bieten Schüler/-innen aus 11. Klassen eine vertiefte Berufsorientierung durch die Bearbeitung von realen Aufgaben und Problemstellungen, die von den teilnehmenden Unternehmen in einem Workshop erarbeitet und dann den Schüler/-innen – ebenfalls in einem Workshop – vorgegeben werden. Durch die Bearbeitung der Aufgaben sowie die (pandemiebedingt jetzt eventuell nur digitalen) Praxistage erfolgt ein Kennenlernen von Ausbildungs- und Studienangeboten in verschiedenen Wirtschaftszweigen. Das Kennenlernen von digitalisierten Prozessen in Unternehmen, von digitalen Tools, von Abläufen der Projektarbeit, Kommunikation mit Unternehmen, Arbeitsabläufen sowie die Verbesserung von zum Beispiel Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Kreativität werden als Lernziel angestrebt. Bei einer abschließenden (digitalen) Messe werden Berufe der teilnehmenden Betriebe und Unternehmen den Mitschüler/-innen vorgestellt. Die Betriebe und Unternehmen profitieren durch einen Impuls von außen, lernen vielleicht sogar ihre künftigen Auszubildenden kennen. Hervorzuheben ist, dass das Projekt der PSG den Schüler/-innen ermöglicht, nicht fiktive, sondern real benötigten Aufgaben zu bearbeiten und damit eine sehr gute Möglichkeit für eine berufliche Orientierung darstellt.
Welche konkreten Aufgaben haben Sie in Ihrer Funktion als Bildungskoordinatorin und Leiterin des Bildungsbüros übernommen?
Meine Arbeit als Bildungskoordinatorin und Leitung des Bildungsbüros, verantwortlich für das Bildungsmanagement, ist koordinierend und strukturierend. Die zu beteiligenden Akteure zu identifizieren und für eine Mitarbeit zu motivieren, vorhandene Arbeitskreise zu nutzen (Lenkungsgruppe Bildungskoordination), neue zu initiieren (Planungsgruppe Digitale Lernallianzen), plus die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit in unseren lokalen Zeitungen (Pressemitteilung hier nachzulesen) waren dabei meine Aufgaben: Die Einladung an die PSG und drei Schulen zur Vorstellung der „Digitalen Lernallianzen“ in der Lenkungsgruppe und die Auswahl der Pilotschulen bildeten den Auftakt. Nach der Lenkungsgruppensitzung wurden die interessierten Schulleitungen, deren zuständigen Lehrkräfte, die PSG, die WIN, die IHK und die HWK von mir zu einem konkreten Planungstreffen geladen. Der später erstellte „Werbebrief“ zur Teilnahme an Betriebe und Unternehmen erfolgte in enger Absprache aller Beteiligten. Die aktuelle Umsetzung erfolgt jetzt bilateral durch die PSG mit den Schulen. Meine Aufgabe ist es, den Gesamtprozess dieses Pilotprojektes im Auge zu behalten.
Zur Person
Name: Claudia Eckhardt
Tätigkeitsbeschreibung: Bildungskoordinatorin und Leitung Bildungsbüro
Beim Landkreis Nienburg/Weser seit: 2016, seit 2019 als Bildungskoordinatorin
Fragen, Ideen, Anregungen gerne an: bildungsbuerokreis-nide
Wie haben Sie die Vertreterinnen und Vertreter der Schulen, der Wirtschaftsförderung, der IHK und Kreishandwerkerschaft zum Mitmachen bewegt und inwieweit haben Ihnen vorhandene DKBM-Strukturen dabei geholfen?
Die jährliche Umfrage bei Schulabgänger/-innen „Was machst du nach deinem Schulabgang / Schulabschluss?“ wird seit 2013 von unserem Bildungsmonitorer Ralf Mödeker durchgeführt. Der Anteil derjenigen, die nicht wissen, was sie danach tun ist auf jeden Fall zu hoch: Zwischen 6 bis 16,1 Prozent gaben in den letzten Jahren an, dass sie es nicht wissen. Der Bedarf an beruflicher Orientierung wird auch in den Schulen gesehen, ebenso bei der HWK und IHK. In unserem Leitbild für die Arbeit des Bildungsbüros heißt es, dass das datenbasierte kommunale Bildungsmanagement (DKBM) im Landkreis Nienburg/Weser einen Überblick über unterschiedliche Bildungsbereiche verschafft. „Es dient als Grundlage für die Aufarbeitung, Analyse und Bewertung bildungsbezogener Daten und ermöglicht gemeinsame Handlungsfelder und deren Herausforderungen zu bestimmen, Angebote zu entwickeln, Empfehlungen und Beschlüsse zu treffen und eine spätere Erfolgskontrolle getroffener Maßnahmen.“ Maßnahmen wie die „Digitalen Lernallianzen“ führen im Idealfall dazu, dass bei den teilnehmenden Jahrgängen der Anteil der beruflich Orientierungslosen sinkt – und dies entsprechend durch Zahlen belegt werden kann.
Welche Vorteile ergeben sich aus der Teilnahme für Schülerinnen und Schüler und für die ansässigen Betriebe, aber auch für den Landkreis Nienburg/Weser?
Den Landkreis Nienburg als attraktives Lebens- und Arbeitsumfeld zu präsentieren, ist durch solche Projekte möglich. An den „Digitalen Lernallianzen“ nehmen Schüler/-innen aus den 11. Klassen teil, die teilweise den Landkreis für ein Studium verlassen werden. Rund 30 Prozent der Studierenden brechen ihr Studium allerdings wieder ab. Daher ist es umso wichtiger, eine Alternative durch solche Projekte aufzuzeigen und bereits bei Jugendlichen Interesse an der heimischen Wirtschaft zu wecken. Wenn die jungen Erwachsenen im Landkreis bleiben sollen, ist ein Bindungsaufbau zur heimischen Wirtschaft wichtig.
Frau Eckhardt, wir bedanken uns sehr herzlich für das Interview!