TRANSFERnews März 2025

Wie Kommunen vom neuen Förderprogramm profitieren können

Warum sollten Kommunen sich auf die neue Förderung „Ganztag in Bildungskommunen“ bewerben? Und wie werden sie zukünftig bei der Umsetzung des Förderprogramms begleitet? Wir haben mit Dr. Andrea Ruyter-Petznek (BMBF) über die zentralen Aspekte der Förderrichtlinie gesprochen.
Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter tritt am 1. August 2026 bundesweit zunächst für die erste Klassenstufe in Kraft und wird in den folgenden Jahren schrittweise auf weitere Klassenstufen ausgeweitet. Ziel ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Die Umsetzung des Rechtsanspruchs stellt Kommunen vor neue Herausforderungen bei der Planung und Ausgestaltung eines bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Ganztagsangebots. Mit dem ESF Plus-Programm „Ganztag in Bildungskommunen – Kommunale Koordination für Ganztagsbildung“ unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) kreisfreie Städte und Landkreise sowie größere kreisangehörige Kommunen. Die Förderung steht auch denjenigen Kommunen offen, die bereits durch das BMBF-Programm „Bildungskommune“ gefördert werden.

Wir hatten die Gelegenheit, mit Frau Dr. Andrea Ruyter-Petznek, Referatsleiterin für „Bildung für nachhaltige Entwicklung; Bildung in Regionen“ des BMBF, zu sprechen, die in ihrer Funktion eine leitende Rolle bei der Konzeption und Veröffentlichung der Förderrichtlinie trug.

Transferagentur (TA): Frau Dr. Ruyter-Petznek, auf welche Weise unterstützt der Bund die Kommunen - insbesondere auch durch die neue Förderung - bei den aus der Umsetzung des Rechtsanspruchs entstehenden Aufgaben? Wie profitieren die Kommunen von der Förderung?
Dr. Ruyter-Petznek:
 Ganztagsversorgung kommt nicht von ungefähr. Die Kommunen brauchen hier Unterstützung. Zur Gewährleistung des Rechtsanspruchs hat der Bund das Investitionsprogramm zum beschleunigten Infrastrukturausbau der Ganztagsbetreuung (2020-2022) und das Investitionsprogramm Ganztagsausbau aufgelegt. Insgesamt 3,5 Milliarden Euro an Finanzhilfen stellt der Bund den Ländern hiermit für den Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter bis Ende 2027 zur Verfügung. Zudem entlastet der Bund die Länder durch geänderte Umsatzsteueranteile zu Gunsten der Länder in Höhe von 2,49 Milliarden Euro für die Jahre 2026 bis 2029 und dauerhaft 1,3 Milliarden Euro jährlich ab 2030.

Darüber hinaus unterstützen wir die Kommunen im Bereich des kommunalen Bildungsmanagements beim bedarfsgerechten Ausbau und der Gestaltung der Betreuungsangebote im schulischen Ganztag: Einerseits als Bestandteil der analog-digital vernetzten Bildungslandschaften im Rahmen von „Bildungskommunen“. Andererseits mit der neuen Förderung „Ganztag in Bildungskommunen“, mit der sich Kommunen ganz auf die hier notwendige Koordination und die spezifischen Anforderungen bei der Umsetzung konzentrieren können. Die zahlreichen Beratungs- und Qualifizierungsangebote des Fachnetzwerks für kommunales Bildungsmanagements, zu dem auch die REAB Niedersachsen gehört, unterstützen die Kommunen bei der Umsetzung beider Förderprogramme. Kommunen profitieren von einem Know-how, das auf langjährigen Erfahrungen der Beratungsagenturen beruht.

Im Rahmen von „Ganztag in Bildungskommunen“ fördern wir – zunächst begrenzt auf vier Jahre – Personal, das in den Kommunen den Ausbau und die Gestaltung von Ganztagsangeboten voranbringen soll. Zusätzlich gibt es zur Deckung indirekter Ausgaben eine attraktive Pauschale in Höhe von 25% der förderfähigen direkten Ausgaben. Die von den Kämmereien häufig nicht unkritisch gesehenen Förderquoten von 40% bzw. 60% ergeben sich aus den Förderbestimmungen des ESF Plus. Einzelheiten zu Antragsberechtigung und Förderbedingungen sowie weitere Informationsangebote finden Sie unter www.transferinitiative.de. Wir schauen uns übrigens auch komplizierte Einzelfälle gerne genau an und empfehlen interessierten Kommunen, Kontakt mit unserem Projektträger DLR aufzunehmen, um sich gezielt beraten zu lassen.

TA: Im Zentrum der Förderrichtlinie stehen der Ausbau und die Etablierung von kommunalen Koordinierungsstrukturen. Welche Chancen sehen Sie für die Kommunen durch die Einrichtung einer Koordinierungsstelle?
Dr. Ruyter-Petznek: Für die Umsetzung der Ganztagsangebote bedarf es eines Zusammenwirkens von Schulträgern, von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und auch von kooperierenden außerschulischen Akteuren. Für die kommunale Verwaltung bedeutet dies, dass die Bereiche Schule und Kinder- und Jugendhilfe sowie auch weitere Akteure in der Bildungslandschaft – zum Beispiel aus der Zivilgesellschaft - noch enger zusammenarbeiten müssen. Damit nimmt auch der Bedarf an Koordination sowie dem Ausbau von Austausch- und Vernetzungsstrukturen zu. Hier können Konzepte des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM) helfen, die durch die Programme der Transferinitiative in vielen Kommunen Deutschlands erprobt und etabliert worden sind (siehe dazu auch unsere Wissensplattform www.lotta-bildung.de ). Eine kommunale Bildungsberichterstattung kann Transparenz über Bedarfe und Angebote schaffen und Strukturen der bereichsübergreifenden Koordinierung können alle relevanten Akteure innerhalb und außerhalb der Verwaltung an einen Tisch bringen. So kann eine kommunale Verantwortungsgemeinschaft für einen quantitativ ausreichenden und qualitativ hochwertigen Ganztag für Kinder im Grundschulalter entstehen.

Name: Dr. Andrea Ruyter-Petznek
Tätigkeitsbeschreibung: Referatsleiterin für Bildung in Regionen; Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

TA: Wie kann eine kommunale Koordinierungsstelle neben der formalen Umsetzung des Ganztags auch die Qualität der Ganztagsbetreuung nachhaltig sichern?
Dr. Ruyter-Petznek:
In einem gut gemachten Ganztag können kindgerechte Lern- und Lebensorte entstehen. Das geschieht durch das Zusammenkommen von formalem, informellem und non-formalem Lernen. Zentral für die Zusammenarbeit ist ein gemeinsames, übergeordnetes Qualitätsverständnis. Mit unserer neuen Richtlinie wollen wir Kommunen bei diesem gemeinschaftlichen Zusammenwirken aller mit dem Ganztag befassten Bildungsakteure unterstützen. Die geförderten Koordinatorinnen und Koordinatoren sollen z.B. Strukturen zum Austausch und zur abgestimmten Zusammenarbeit dieser Akteure auf- und ausbauen. Es geht darum, zivilgesellschaftliche und sozialräumlich verortete Akteure, auch im Bereich des freiwilligen Engagements, zu identifizieren, gegebenenfalls zu qualifizieren und in die kommunalen Koordinierungsnetzwerke dauerhaft einzubinden. Dadurch wird der Ganztag vielfältiger, lebensnaher und personell besser ausgestattet. Auch neue Räume können erschlossen werden. Qualität kann dort entstehen, wo Kommunen, Schulen und Bildungsakteure die Bedarfe kennen - Datenbasierung ist hier ein wichtiges Stichwort - und orientiert an gemeinsamen Leitlinien agieren. Die Koordinierungsstelle soll die notwendige Transparenz über Akteure und Angebote schaffen, unter besonderer Berücksichtigung der außerschulischen und der non-formalen Bildung. Es ist wichtig, dass es feste Ansprechpersonen in den Kommunen zum Ganztag für alle lokalen Akteure gibt, um Aktivitäten sichtbar zu machen, zu bündeln und zu steuern.

TA: In Niedersachsen stehen Kommunen vor sehr unterschiedlichen Gegebenheiten und Herausforderungen, auch haben viele Kommunen bereits erste Schritte zur Umsetzung des Rechtsanspruchs des Ganztags unternommen. Inwiefern können auch diese von der Förderung profitieren?
Dr. Ruyter-Petznek: Die Aufgabenfelder, die sich bei der Organisation und Koordinierung des Ganztags ergeben, sind vielfältig. Die Förderung umschließt die Aufgaben des Aufbaus und der Etablierung dauerhaft tragfähiger Koordinierungsstrukturen, die Gewinnung und Einbindung zivilgesellschaftlicher Bildungsakteure, die Herstellung von Transparenz, insbesondere über die kommunalen Angebote, und die Information und Beratung kommunaler Entscheidungsinstanzen. Aus diesen Aufgabenfeldern können Kommunen entsprechend ihrer individuellen Ausgangs- und Bedarfslagen wählen.

Bestehende Koordinierungs-, Vernetzungs- und Planungsstrukturen, z.B. Bildungsbüros, Qualitätszirkel oder die Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung, sollen unbedingt einbezogen und Doppelstrukturen vermieden werden. Wir sehen bereits bei den ersten Bewerbungen, dass sehr unterschiedliche Profile von unserem Programm profitieren können. Das ist gewollt und soll der Vielfalt der Strukturen in den deutschen Kommunen Rechnung tragen.

TA: Frau Dr. Ruyter-Petznek, welche langfristige Vision verbinden Sie mit dem Programm „Ganztag in Bildungskommunen“?
Dr. Ruyter-Petznek:
 Zunächst finde ich es ganz wichtig, dass eine möglichst große Kohärenz zwischen verschiedenen Bundesprogrammen besteht. Die Förderung der Bildungskommunen ist dafür ein gutes Beispiel, denn sie flankiert nicht nur den Ganztags-Ausbau, sondern etwa auch die MINT-Förderung, das Programm „Kultur macht stark“ und das neue BMBF-Programm Startchancen.

Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Gestaltung der schulischen Ganztagsangebote, wie sie die Förderrichtlinie vorsieht, aber auch in die kommunalen Bildungslandschaften insgesamt, eine große und wichtige Aufgabe darstellt. Hier schlummern Wissensschätze und zu hebende Tatkraft. Zivilgesellschaftliches Engagement stärkt das Verantwortungsbewusstsein unserer Gesellschaft und bedeutet gelebte Demokratie. Wo, wenn nicht in unseren Schulen und sonstigen Bildungsräumen, sollten diese Werte erfahrbar werden? Die Koordinierungsstellen können hier einen zentralen Beitrag leisten, indem sie auch für diese Aufgabe tragfähige kommunale Strukturen schaffen und den Diskurs herbeiführen.

TA: Frau Dr. Ruyter-Petznek, wir bedanken uns herzlich für das Interview!