Newsletter TRANSFERkompakt Dezember 2021
Thema: Ganztag, Chancengerechtigkeit und was DKBM dazu leisten kann.
Der Ganztag kommt. Nicht zuletzt durch den von der Bundesregierung im September 2021 beschlossenen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 wird der Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten in den nächsten Jahren deutschlandweit weiter vorangetrieben. Innovative und ganzheitliche Konzepte für die Ganztagsbildung werden daher für Kommunen in Zukunft verstärkt zu einem wichtigen und qualitativen Standortfaktor. Wir zeigen auf, wie die Etablierung von Monitoring- und Netzwerkstrukturen optimale Voraussetzungen zur wirksamen Steuerung einer guten und chancengerechten Ganztagsbildung vor Ort bieten, stellen Praxisbeispiele vor und fassen wesentliche Schritte in einer neuen Ausgabe unseres Arbeitsmaterials „Wie praktisch“ als Checkliste für Sie zusammen.
Gute Gründe für den Ganztag
Im politischen Diskurs werden drei Gründe für den Ganztagsausbau angebracht: Einerseits geht es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, indem eine zuverlässige Kinderbetreuung gewährleistet wird. Andererseits werden mit dem Ganztag auch die pädagogischen Ziele einer besseren individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern sowie bessere Teilhabechancen für benachteiligte Kinder postuliert (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2021). Nun sind es die Akteurinnen und Akteure der Bildungsadministration und Bildungspraxis, die den Ausbau von Ganztagsschulen umsetzen müssen – und dabei viel Spielraum bei der Gestaltung der Ganztagsangebote haben. Neben den Kultusministerien der Bundesländer und den einzelnen Schulen sind hier auch die Kommunen gefragt: Nicht nur sind sie Schulträger, d.h. für äußere Schulangelegenheiten zuständig, sondern im Rahmen von kommunalen Bildungslandschaften können sie die Einrichtungen vor Ort auch bei der Entwicklung von pädagogischen Gesamtkonzepten für den Ganztag unterstützen und dabei zur Erreichung der von der Bildungspolitik formulierten Ziele beitragen. Aber was hat die Kommune davon? Auf jeden Fall können innovative und ganzheitliche Konzepte für die Ganztagsbildung ein wichtiger und qualitativer Standortfaktor sein.
DKBM als Unterstützung für Kommunen
Wie also kann eine Kommune den Ausbau eines guten und chancengerechten Ganztages in der eigenen Bildungslandschaft konkret unterstützen? In diesem Artikel werden zwei, im besten Fall ineinandergreifende Handlungsmöglichkeiten für das datenbasierte kommunale Bildungsmanagement (DKBM) und -monitoring anhand von Praxisbeispielen und wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgezeigt:
- Durch die Analyse des IST-Standes im Rahmen des Bildungsmonitorings, d.h. einer möglichst objektiven Abbildung der bisherigen Qualität von (Ganztags-)Schulen vor Ort.
- Durch die kontinuierliche Unterstützung der Schulen bei der eigenen Konzept(weiter)entwicklung für den Ganztag mittels eines kommunalen Bildungsmanagements, insbesondere durch die Koordination von Netzwerken unter den Akteurinnen und Akteuren verschiedener Einrichtungen.
Qualitätsanalyse zu Ganztagsschulen
Die Stadt Stuttgart hat sich 2016 mit dem Projekt „Bedarfs- und Qualitätsanalyse zu Ganztagsgrundschulen in Stuttgart“ auf den Weg gemacht, nicht nur eine Bedarfsplanung für Ganztagsbetreuung durchzuführen, sondern auch die bisherigen Ganztagsangebote der Grundschulen auf ihre Qualität hin zu überprüfen. Denn, so die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer, „Ganztagsschulen entfalten jedoch nur dann die erwünschten gesellschaftlichen und vor allem bildungspolitischen Wirkungen, wenn die Qualität stimmt. Und Qualität ist nicht zuletzt auch die Voraussetzung dafür, dass die Ganztagsschule von Eltern und Kindern akzeptiert wird.“ (Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.) 2017/18, S. 9) Zunächst wurden dafür unter Beteiligung mehrerer relevanter Akteurinnen und Akteure die Qualitätsmerkmale festgelegt, die in der Analyse überhaupt beleuchtet werden sollten. So wurden insgesamt 18 Qualitätsmerkmale erarbeitet, die in sechs Kategorien zusammengefasst sind:
Mit drei Erhebungsmethoden wurde anschließend die Analyse durchgeführt: Erstens mit einer standardisierten Expertenbefragung an allen Stuttgarter Ganztagsgrundschulen, wobei alle am Ganztagsbetrieb beteiligten Akteurinnen und Akteure als Expertinnen und Experten eingebunden wurden. Dafür wurden, ausgehend von den Qualitätsmerkmalen, jeweils Items entwickelt, die sich im Rahmen eines standardisierten Fragebogens erheben lassen. Zweitens wurden Gruppendiskussionen mit Lehrkräften sowie pädagogischen Fachkräften geführt. Drittens fand eine Kinderbeteiligung statt, indem ausgewählte Schülerinnen und Schüler in Workshops nicht nur informiert wurden, sondern dort auch ihre Perspektiven auf das Ganztagsangebot einbringen konnten (vgl. ebd., S. 17 ff). Die detaillierte Vorgehensweise sowie auch die Gesamtergebnisse wurden in einem Bericht zusammengefasst und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Zusammenfassend wurden vier Kernfaktoren herausgearbeitet, die in besonderem Maße die Qualität der Ganztagsgrundschule bestimmen:
- Haltung (Grundhaltung der Beteiligten gegenüber der Ganztagsgrundschule)
- Leitungsebene (Zusammenarbeit von Schulleitung und pädagogischer Leitung)
- Gesamtkonzept
- Qualitätsentwicklung und -sicherung
Um ein formuliertes Ziel der Analyse zu erreichen, und zwar die Daten für die weitere pädagogische Arbeit der Qualitätsentwicklung und -sicherung nutzbar zu machen, führten die Verantwortlichen nach der Erhebung Einzelgespräche mit jeder Schule durch. Anhand der Einzelergebnisse wurde so eine datenbasierte Diskussion zu dem jeweiligen Verbesserungspotenzial angestoßen (vgl. ebd., S. 88). Das Praxisbeispiel aus Stuttgart zeigt, wie die Erhebung von Daten in der kommunalen Bildungslandschaft konkretes, handlungsleitendes Wissen für die Bildungsakteurinnen und -akteure bereitstellen und für den Ausbau eines guten Ganztages nutzbar machen kann.
Netzwerke zur (Weiter-)Entwicklung pädagogischer Gesamtkonzepte
Kommunen können die Schulen bei der Weiterentwicklung ihrer Schul- und Ganztagskonzepte auch durch die Koordinierung von Austausch- und Arbeitskreisen unterstützen. Bereits mehrere Landkreise und Städte in Niedersachsen haben hierzu Netzwerkstrukturen geschaffen, zwei Beispiele werden im Folgenden kurz dargestellt.
Die Stadt Oldenburg hat eine AG „Kooperative Ganztagsbildung in Oldenburger Grundschulen“ eingerichtet, die einerseits beratendes Gremium zu grundsätzlichen Fragestellungen des 2018 vom Rat beschlossenen, gleichnamigen Rahmenkonzeptes ist und anderseits ein Forum für den fachlichen Austausch bietet. Hier beschäftigen sich die Leitungen der Ganztagsgrundschulen, der an den Schulen tätigen Träger der freien Jugendhilfe (primäre Kooperationspartner:innen) und Verantwortliche aus den Bereichen Kultur und Sport insbesondere mit der Zusammenarbeit der Bildungspartner:innen, der Förderung des Informations- und Fachaustausches und der Weiterentwicklung der kooperativen Ganztagsbildung an Grundschulen (vgl. Informationsseite der Stadt Oldenburg).
Auch der Landkreis Hameln-Pyrmont hat im Rahmen der Bildungsregion eine AG Ganztag eingerichtet. Gemeinsam arbeiten Schulen, Schulträger und Kooperationspartner:innen daran, sich über Wünsche an Ganztagsschulen auszutauschen, gemeinsame Kriterien für guten Ganztag in der Region zu entwickeln und Unterstützungsnetzwerke aufzubauen (vgl. Website der Bildungsregion Landkreis Hameln-Pyrmont). Um die Chancen der Ganztagsbildung für die Weiterentwicklung von Schule und Unterricht zu nutzen, koordiniert das Bildungsbüro
- die Durchführung von jährlich drei Austauschtreffen der Arbeitsgruppe, ggf. mit der Unterstützung von externen Referentinnen und Referenten,
- die Entwicklung von Kooperationen und Unterstützungsmodellen,
- die Durchführung praxisbezogener Informationsveranstaltungen für die Förderung der Implementierung von neuen Konzepten, sofern aus der Projektgruppe Bedarf gesehen wird, sowie
- die Empfehlung, Erarbeitung und/oder Begleitung konkreter Projekte, wie zum Beispiel „Gütesiegel Ganztag“ (vgl. Kommunales Handlungskonzept Bildung 2021).
2021 bot der Landkreis Hameln-Pyrmont den Bildungsakteurinnen und -akteuren der Region außerdem noch ein ergänzendes Format: das Online-Bildungsforum. So wurden zum Beispiel in der vergangenen Veranstaltung mit dem Titel „Wie werden wir Zukunftsgestalter? – Anforderung an regionale Fortbildungskonzeption“ durch Prof. Olaf-Axel Burow anregende Impulse zur innovativen Schulentwicklung und (Schul-)Raumgestaltung geliefert und über das Potenzial des Lernens voneinander diskutiert.
Indikatoren der Prozess- und Organisationsqualität
In der Literatur finden sich zudem weitere Ansätze und Indikatoren, die für eine Qualitätsanalyse von Ganztagsschulen vor Ort herangezogen werden können. Zum Beispiel untersuchte Prof. Dr. Nina Bremm, inzwischen Professorin für Schulentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Zürich, im Rahmen ihrer Promotion, wie sich Schulen mit ganztägigem Angebot hinsichtlich ihrer Ganztagsorganisation und deren Umsetzung im Schulalltag unterscheiden (vgl. Bremm 2019, S. 12). Sie fokussierte in ihrer Analyse Indikatoren der Prozess- und Organisationsqualität auf Schulebene, d.h. Qualitätsmerkmale, die im Handlungsspielraum der Schulen bzw. Schulleitungen liegen.
Ziel ihrer Untersuchung war unter anderem, relevante Prozess- und Organisationsmerkmale von Schulen mit ganztägigem Angebot herauszuarbeiten, um eine Typenbildung vorzunehmen. Denn, so Bremms These, „die Kategorien Halbtags- und Ganztagsschule sowie die Unterscheidung von Ganztagsschulen in offene, teilgebundene und gebundene Systeme [werden] der heutigen Ganztagsschul- und Ganztagsangebotslandschaft nicht gerecht“ (ebd., S. 12). Ihre vorgenommene Clusteranalyse, basierend auf den Variablen der operationalisierten Gestaltungs- und Prozessmerkmale, ergab vier Typen von Schulen mit ganztägigem Angebot.
Die Typen beschreibt Bremm wie folgt:
- „Schultyp A: Schule mit halbtägig organisiertem Unterricht und stark ausgeprägten Schulentwicklungsmerkmalen im Zusammenhang mit Schulleitungshandeln (Schule mit halbtägigem Unterricht im Schulentwicklungsprozess).
- Schultyp B: Schule mit ganztägig organisiertem Unterricht und vergleichsweise schwächer ausgeprägten Schulentwicklungsindikatoren im Zusammenhang mit Schulleitungshandeln (Schule mit ganztägigem Unterricht im Schulentwicklungsprozess).
- Schultyp C: Schule mit ganztägig organisiertem/rhythmisiertem Unterricht und sehr stark ausgeprägten Schulentwicklungsindikatoren im Zusammenhang mit Schulleitungshandeln (Rhythmisierte Ganztagsschule).
- Schultyp D: Schule mit halbtägig organisiertem Unterricht und schwach ausgeprägten Schulentwicklungsindikatoren im Zusammenhang mit Schulleitungshandeln (Traditionelle Schule mit halbtägigem Unterricht).“ (ebd., S. 158f)
Bei einer Analyse der Qualität des Ganztagsangebotes im kommunalen Bildungsmonitoring können zum Beispiel die von Bremm als relevant eingestuften Schulqualitätsmerkmale herangezogen werden. Aber auch die vier Typen ihrer Cluster-Analyse bieten eine Option, die Schullandschaft vor Ort differenzierter abzubilden. So wird der Fokus vom zeitlichen Umfang des Schulangebotes, welcher insbesondere dem Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienlich ist, auf den zusätzlichen Faktor der pädagogischen Gestaltung des Ganztages gelenkt. Und nur ein gutes pädagogisches Gesamtkonzept kann wiederum zur Erreichung der bildungspolitischen Ziele beitragen: zur besseren individuellen Förderung und zu mehr Chancengerechtigkeit (für mehr Informationen zur Wirkung von Ganztagsschule vgl. die Ergebnisse der StEG-Studien).
Fazit: Monitoring- und Netzwerkstrukturen fördern Steuerung der Ganztagsbildung
Das datenbasierte kommunale Bildungsmanagement bietet den Kommunen durch das Vorhandensein bzw. den Aufbau geeigneter Monitoring- und Netzwerkstrukturen die optimalen Voraussetzungen zur wirksamen Steuerung der Ganztagsbildung vor Ort. Dabei geht es nicht um die reine Überprüfung oder gar Kontrolle der Qualität der Schulangebote, sondern vielmehr um eine aktive, mitgestaltende und impulsgebende Rolle, die Landkreise und Städte bei dem Ausbau eines guten und chancengerechten Ganztages einnehmen können.
Autorin: Maria Leuschner, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen