Newsletter TRANSFERkompakt April 2023

Thema: Ganztagsschulentwicklung im Rahmen des DKBM mitdenken.

Befördert durch den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für alle Grundschulkinder ab dem Jahr 2029 (erste Klassenstufe bereits ab 2026) stehen die Länder und Kommunen vor großen Herausforderungen in verschiedenen Bereichen der Bildungsplanung. Gleichzeitig entsteht die Chance für Kommunen die Trias aus Bildung, Betreuung und Erziehung in der Institution Ganztagsschule neu zu denken und auch in Verwaltungsstrukturen in Form einer integrierten Bildungsplanung mit zu forcieren. Erste Anhaltspunkte für diese kommunale Ausgestaltung sind dem nachfolgenden Artikel zu entnehmen. 

Vor allem die Kommunen als Schulträger sind aufgefordert, die baulichen und konzeptionellen sowie teilweise auch personalen Fragestellungen, die sich aus dem neuen Rechtsanspruch ergeben, in der Planung von Ganztagsschulen und auch kommunaler Bildung insgesamt perspektivisch mitzudenken und regional passgenaue Ausgestaltungsideen zu entwickeln. Bei allen zuvorderst zu behandelnden eher technokratischen Problemfeldern, wie räumliche Kapazitäten, Personalbeschaffung oder Ausstattung, besteht zunehmend die Gefahr, die pädagogischen Zielperspektiven von Ganztagsbildung und -betreuung aus den Augen zu verlieren. Hier, befördert durch den Aufbau des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM), das erweiterte Bildungsverständnis als Grundlage für die Ganztagsgrundschule als Lernwelt zu begreifen und diese durch die Potenziale der alltäglichen Lebenswelt und durch fachlichen sowie praktischen Kompetenzerwerb anzureichern, ist dabei als weiteres Ziel kommunaler Ganztagsplanung zu berücksichtigen.

Neuer Rechtsanspruch als Wegweiser in der Ganztagsschulentwicklung

Im Oktober 2021 hat die Bundesregierung mit dem „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“ (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) eine rechtliche Rahmung auf den Weg gebracht, die ganztägige Betreuung für jedes Kind im Grundschulalter ab 2029 vorsieht, und somit die Grundlage für einen Rechtsanspruch darstellt. Ab dem Jahr 2026 wird dieser für die Kinder der Klassenstufe 1 bestehen und dann sukzessive bis Klassenstufe 4 im Jahr 2029 ausgeweitet. Auf Bundesebene wird dieser Rechtsanspruch im SGB VIII unter §24 aufgenommen. Er sieht einen Betreuungsumfang von acht Stunden an allen fünf Werktagen vor, wobei die Unterrichtszeit mit eingerechnet wird. Dies gilt auch für die Ferienzeiten, allerdings können die Bundesländer eine Schließzeit von maximal vier Wochen selbst regeln. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder soll sowohl in Horten als auch in offenen und gebundenen Ganztagsschulen – je nach länderspezifischem Modell – erfüllt werden. Um dies umzusetzen, müssen bis ins Jahr 2029 bis zu 800.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden (siehe hierzu BMFSFJ, 2021). Die konkrete Umsetzung erfolgt nun durch die Bundesländer. Das Land Niedersachsen hat bereits im Jahr 2014 die Weichen für die Ganztagsschulentwicklung im Schulgesetz (§23) gestellt und mit dem Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums Die Arbeit in der Ganztagsschule mit seinen jeweiligen Änderungserlassen rechtliche Rahmen für die Ganztagsschule vorgegeben. Dabei finden sich Ganztagsschulen und Horte in allen Regionen Niedersachsens und in allen Schulformen wieder. Der rechtliche Rahmen gibt den Schulen in diesem Kontext gewisse pädagogische Gestaltungsspielräume (siehe hierzu Bildungsportal Niedersachsen).

Pädagogische Konzepte der Ganztagsschule – ganzheitlich in der Lebenswelt Schule lernen

Neben dem Rechtsanspruch hängt mit dem Ganztagsschulausbau vor allem ein pädagogisches Konzept zusammen, welches Chancengerechtigkeit und Teilhabemöglichkeiten für alle Kinder als Zielperspektive ausformuliert. Dabei stellt Eisnach (2011) heraus, dass es in diesem Kontext vornehmlich um die Betonung von ganzheitlicher Bildung und weniger um den reinen Betreuungsausbau gehe (vgl. ebd., S. 62). Sie bezieht sich in der pädagogischen Ausgestaltung im Weiteren auf einige konzeptionelle Aspekte (in Anlehnung an Höhmann et al. 2004; Holtappels 2005; Oelerich 2007), die hier von pädagogischer Relevanz sind:

  • Intensive Förderung von Schüler:innen in schulischen Leistungen und darüberhinausgehend in sozialen, emotionalen und kognitiven Kompetenzen. Dies wird erreicht durch den Ausbau von pädagogisch-angeleiteten Förderzeiten durch Fachpersonal.
  • Weiterentwicklung von Lernarrangements hin zu einer abwechslungsreichen Gestaltung des Lehr-/Lernalltags. Dies wird gewährleistet durch eine Durchmischung von Pflicht- und Wahlmöglichkeiten je nach Interessenlage der einzelnen Schüler:innen.
  • Angebote im Freizeitbereich, die Selbstständigkeit befördern. Erholungs-, Spiel- und Bewegungsangebote können sich hier selbstgewählt abwechseln.
  • Soziales und interkulturelles Lernen soll durch die Ausweitung des Schulalltags befördert werden. Soziale Gruppengefüge stärken hier die eigene Persönlichkeitsentwicklung.
  • Beteiligungsprozesse regen die Eigenständigkeit von Kindern und Jugendlichen an und machen die Schule zur Lebenswelt in selbstgestalteter sozialer Verantwortung.
  • Sozialräumliche Öffnung der Schule: Durch Kooperationsformen mit anderen Institutionen, Vereinen und Organisationen werden neue Erfahrungs- und Erlebensräume für Schüler:innen geschaffen. Schule öffnet sich im Sinne einer ganzheitlichen Bildungslandschaft nach außen. (vgl. Eisnach 2011, S. 62f.)

Diesen pädagogischen Aspekten weiter folgend wird Schule so zur Lern- und Lebenswelt, in der ein erweitertes Bildungsverständnis zugrunde gelegt wird, welches sich als Ausdruck einer ganzheitlichen Subjektbildung und -werdung in der Ganztagsschule zeigt. Ganztagsbildung am Ort Ganztagsgrundschule ist somit gekennzeichnet durch eine Verschränkung unterschiedlicher Lern-/Lehrsettings zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung und Herausbildung unterschiedlicher Kompetenzen in curricular-relevanten Fächern, in Methodenkompetenzen und darüber hinaus vor allem im sozialen alltäglichen und auch interkulturellen Miteinander insgesamt.

Die Ganztagsschule als Chance für eine integrierte kommunale Bildungsplanung

Was heißt dies nun für Kommunen, die als Schulträger konkreten Einfluss auf die Ausgestaltung von Schule und auf die Bildungslandschaft insgesamt haben? Wie oben thematisiert, zeigt sich Ganztagsbildung in der Ganztagsschule als ein pädagogisches Verschränken von Bildung, Erziehung und Betreuung am Lernort Schule, in dem neben den curricularen Bildungsaspekten vor allem auch non-formale Bildungsangebote und informelle Bildungsprozesse einen Platz finden. So wird die Ganztagsschule eine konkrete Schnittstelle für Fragen, welche einerseits die Schule sowie andererseits die Kinder- und Jugendhilfe betreffen. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und seine Verankerung im SGB VIII machen auf diese Scharnierfunktion der Ganztagschule als Ort, an dem die Systeme Schule und Kinder- und Jugendhilfe aufeinandertreffen und gemeinsame Konzepte entwickeln, zusätzlich aufmerksam.

Kommunen mit DKBM-Strukturen haben hier bereits wichtige Schritte vollzogen, welche es ihnen ermöglichen, Kommunikationswege und Vernetzungsstrategien über einzelne Dezernate mit ihren entsprechenden Ämtern und Fachbereichen hinaus zu gestalten und Schulentwicklung und Kinder- und Jugendhilfe zusammen zu denken. Im Rahmen einer integrierten Bildungsplanung weiter an einer De-Versäulung von Verwaltungsstrukturen, zu arbeiten ist hier als Chance zu begreifen, um Bildung weiter ganzheitlich in den Fokus zu rücken. So schreibt Maykus (2020), dass integrierte kommunale Bildungsplanung konzeptionelle Grundlagen eines abgestimmten Systems von Bildung, Betreuung und Erziehung in den Fokus der Überlegungen rückt, sodass ein erweitertes Bildungsverständnis den Ausgangspunkt der planerischen Ausrichtung in der Kommune darstellt (vgl. ebd., S.1575). Eine „strukturell verankerte Kooperation von Fachverwaltungen mit ihren jeweiligen Planungsbereichen (…) sowie eine Ausweitung der Planungsressourcen in den Ämtern zur Gründung eines Planungsteams“ (Maykus, 2020, S.1582) erscheint unter diesen Bezügen als wegweisend und kann die DKBM-Strukturen weiterentwickeln. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und die damit verbundene kommunale Ganztagsschulentwicklung ist eine Chance, die planerischen kommunalen Strukturen weiter auszubauen und das komplexe Thema der Bildung, Betreuung und Erziehung ganzheitlich in kommunalen Verwaltungen mitzudenken. Durch die in vielen Kommunen bereits etablierten Strukturen eines datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements ist hier vor Ort bereits eine wertvolle Grundlage geschaffen, um als handlungsfähige Kommune effektiv im Rahmen seiner Aufgaben agieren zu können.

Gestaltungsmöglichkeiten in der Ganztagsschule

Hinweise zur konkreten Ausgestaltung der Ganztagsschule gibt der „Wissenschaftsgeleitete Qualitätsdialog zum Ganztag“ des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, der im Jahr 2021 durchgeführt wurde. Hier wurde ein bundesweiter Austausch zwischen Bildungsforschung, Bildungsverwaltung und Bildungspraxis angestoßen. In diesem Zusammenhang entstanden verschiedene Handreichungen zu Schwerpunktthemen, die kompakt und zielgerichtet wichtige Fragestellungen in der Konzeption des Ganztags beantworten und so erste Weichen in der konkreten Ausgestaltung stellen.

Handreichungen im Überblick:

Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Welche organisatorischen Aspekte sind bei der Konzeption des Ganztags zu berücksichtigen? Welche konzeptionellen Ziele hat der Ganztag? Wie können Kinder und Jugendliche für eine Teilnahme begeistert werden?

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Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Was macht eine gute Leitung aus? Welche Aspekte sind für die Qualität des Ganztags und die gemeinsame Zielsetzung der Steuerungsgruppe relevant? Wie lassen sich gute Rahmenbedingungen für einen gelingenden Ganztag realisieren?

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Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Warum ist es wichtig, sich mit Zusammenarbeit im Ganztag zu beschäftigen? Welche Chancen und Herausforderungen bringt die Zusammenarbeit mit sich? Welche Arbeits- und Kooperationsformen gibt es, und worin liegen ihre jeweiligen Stärken?

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Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Wie können Kinder und Jugendliche bei der Konzeption in den Blick genommen werden? Wie muss ein Angebot konzipiert sein, um sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Kompetenzen erfolgreich zu unterstützen? Und welche Erfolgsfaktoren für gute Angebotskonzepte sind aus der Forschung bekannt?

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Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Wie werden Angebote qualitativ hochwertig durchgeführt? Wie kann dabei die individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden? Wie erfahren Kinder und Jugendliche Autonomie, und wie können sie im Rahmen eines Angebotes partizipieren? Und welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die Angebotsdurchführung, wenn die Perspektive der Kindheit und Jugend konsequent berücksichtigt wird?

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Die Handreichung thematisiert unter anderem folgende Fragestellungen: Wie hängen pädagogische Beziehungen und Wohlbefinden zusammen? Was ist für den Aufbau von gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen wichtig? Und welche Potenziale bieten Ganztagsangebote für die Gestaltung sozialer Beziehungen?

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Autor: Niklas Gausmann, Transfermanagement, Transferagentur Niedersachsen

Literatur:

  • Eisnach, Kristina (2011): Ganztagsschulentwicklung in einer kommunalen Bildungslandschaft. Wiesbaden.
  • Höhmann, Katrin, Heinz Günter Holtappels und Thomas Schnetzer (2004): Ganztagsschule. Konzeptionen, Forschungsbefunde, aktuelle Entwicklungen. In: Holtappels, Heinz Günter, Klaus Klemm, Hermann Pfeiffer, Heinz-Günter Rolff und Renate Schulz-Zander [Hrsg.]: Jahrbuch der Schulentwicklung. Band 13. Weinheim und München. S. 253-289.
  • Holtappels, Heinz Günter (2005). Ganztagsschulen entwickeln und gestalten – Zielorientierungen und Gestaltungsansätze. In: Höhmann, Katrin, Heinz Günter Holtappels, Ilse Kamski und Thomas Schnetzer [Hrsg.]: Entwicklung und Organisation von Ganztagsschulen. Anregungen, Konzepte, Praxisbeispiele. Dortmund. S. 7-44.
  • Maykus, Stephan (2020). Kommunale Bildungsplanung. In: Bollweg, Petra, Jennifer Buchna, Thomas Coelen und Hans-Uwe Otto [Hrsg.]: Handbuch Ganztagsbildung. 2. Auflage. Wiesbaden. S. 1573-1585.
  • Oelerich, Gertrud (2007). Ganztagsschulen und Ganztagsangebote in Deutschland - Schwerpunkte, Entwicklungen und Diskurse. In: Bettmer, Franz, Stephan Maykus, Franz Prüß und André Richter [Hrsg.]: Ganztagsschule als Forschungsfeld. Theoretische Klärungen, Forschungsdesigns und Konsequenzen für die Praxisentwicklung. Wiesbaden. S. 13-42.